Swantje Schendel

Zukunft. Solidarisch. Gerecht.

Zum Referentenentwurf der Bundesregierung zur Grundsicherung

28. November 2025

Der jetzt vorliegende Referentenentwurf zur Neugestaltung der Grundsicherung* zeigt ein Menschenbild, das wenig mit den Lebensrealitäten derjenigen zu tun hat, die tagtäglich versuchen, Familie, Sorgearbeit und Beruf miteinander zu vereinbaren. Wer die Situation von Familien, Alleinerziehenden oder pflegenden Angehörigen kennt, erkennt schnell: Dieser Entwurf löst keine Probleme. Er schafft neue!

Denn dieser Gesetzentwurf setzt fast ausschließlich auf Druck. Er hilft weder den Menschen in Grundsicherung, noch hilft er jenen, die knapp darüber leben. Er schwächt soziale Teilhabe und verletzt grundlegende Prinzipien einer solidarischen Gesellschaft.

Ein Sozialstaat muss stärken. Er muss Chancen eröffnen. Er muss zusammenführen. Wer sozialen Zusammenhalt will, muss auf Unterstützung setzen, nicht auf Sanktionen. Genau das fehlt diesem Entwurf. Genau das braucht unsere Gesellschaft aber dringender denn je!

1. Unzureichend für Familien und Alleinerziehende
Besonders kritisch sehe ich die geplanten Verschärfungen der Pflichten. Eltern sollen bereits ab dem ersten Geburtstag ihres Kindes wieder voll dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und an Maßnahmen teilnehmen.

Das blendet gleich mehrere Realitäten aus.

Zum einen fehlt es vielerorts weiterhin an ausreichend guter Kinderbetreuung, vor allem für Eltern, die in Schichtarbeit oder in Berufen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten tätig sind. Zum anderen ignoriert der Entwurf, dass ein großer Teil der Pflege in Deutschland privat erbracht wird.

Wer Angehörige versorgt, kann nicht einfach Vollzeit arbeiten.

Der Generalverdacht, dass Aufstocker*innen sowie Alleinerziehende schlicht nicht mehr arbeiten wollen, ist respektlos. Er trifft 826.000 Menschen, darunter 122.000 Alleinerziehende, die trotz Erwerbstätigkeit weiter auf Leistungen angewiesen sind.

Ihnen noch mehr Druck aufzuerlegen, löst keine Herausforderungen, sondern verstärkt Ungerechtigkeit. Statt Druck braucht es gute und verlässliche Kinderbetreuung, faire Arbeitsbedingungen, existenzsichernde Löhne und eine differenzierte Betrachtung der individuellen Lebenssituation.

Genau das fehlt.

2. Rückfall in alte Muster durch den Vermittlungsvorrang
Mit der Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs kehrt die Bundesregierung zu einer Logik zurück, die sich nicht bewährt hat. Wenn Jobcenter gezwungen sind, Menschen in jede Arbeit zu vermitteln, unabhängig von Perspektive oder Qualität, schafft das kurzfristige Beschäftigung, aber keine langfristige Integration.

Es droht das Gegenteil von dem, was erreicht werden sollte: Menschen werden in unsichere, oft prekäre Jobs gedrängt und bleiben abhängig von staatlicher Unterstützung, statt endlich auf eigenen Beinen stehen zu können.

3. Sanktionen werden verschärft statt Kooperation zu stärken
Noch problematischer sind die geplanten Leistungsminderungen. Drei Meldeversäumnisse sollen künftig zu einem Entzug des gesamten Regelbedarfs führen. Die Einführung einer sogenannten Arbeitsverweigerer-Regelung ermöglicht sogar ab der ersten Pflichtverletzung einen vollständigen Leistungsentzug.

Das verschärft Notlagen statt sie zu lösen. Sanktionen treffen besonders oft Menschen, die ohnehin belastet sind: Personen mit psychischen Erkrankungen, chronischen Krankheiten oder mehrfachen Sorgeverantwortungen. Wer diese Menschen mit Sanktionen überzieht, verliert sie.

Ein Staat sollte unterstützen, nicht erziehen!

Besonders drastisch wirkt der geplante sofortige Wegfall des Regelbedarfs bei Ablehnung eines Jobangebots. Die Gründe für eine Ablehnung sind in der Praxis fast immer plausibel, etwa wegen nicht kompatibler Arbeitszeiten, fehlender Betreuungsmöglichkeiten oder gesundheitlicher Einschränkungen. Dass dies ignoriert werden soll, ist sozialpolitisch verantwortungslos.

Der sogenannte Kooperationsplan soll eigentlich eine partnerschaftliche Grundlage für Beratung darstellen. Die Realität spricht eine andere Sprache. Der Plan wird gekoppelt an Sanktionsandrohungen und Zwang. Wer so startet, baut kein Vertrauen auf. Druck führt zu Rückzug, nicht zu Kooperation.

4. Wohnkosten: Realitätsfern und gefährlich
Die geplanten Änderungen zu Unterkunft und Heizung sind für viele Menschen ein Schlag ins Gesicht. Schon jetzt übernehmen Jobcenter bei über 12 Prozent der Bedarfsgemeinschaften nicht die tatsächlichen Wohnkosten, im Schnitt fehlen 116 Euro im Monat. Mit den neuen Regelungen wird diese Lücke wachsen.

Statt Vermieter*innen klarere Grenzen zu setzen, sollen künftig Leistungsbeziehende selbst Mietpreisbrems-Verstöße rügen. Das ist praxisfern und wird viele verunsichern. Vermietende werden noch weniger bereit sein, Wohnungen an Menschen in Grundsicherung zu vergeben. Das verschärft Wohnungsnot und treibt Menschen eher in Wohnungslosigkeit, statt sie davor zu schützen.

5. Kurzsichtige Absenkung der Schonvermögen
Die geplante Absenkung der Schonvermögensgrenzen und der Wegfall der Karenzzeiten sind finanzpolitisch vielleicht attraktiv, gesellschaftlich aber gefährlich. Wer in einer Krise seine Rücklagen verlieren muss, fällt später umso wahrscheinlicher erneut ins System zurück. Das ist kurzsichtig und wird zu mehr Altersarmut führen.

Was stattdessen nötig wäre

Die Debatte zeigt: Es geht nicht nur um die Grundsicherung!

Es geht um die Frage, wie soziale Gerechtigkeit wieder gestärkt werden kann. Viele Menschen arbeiten hart und haben dennoch kaum mehr als Menschen in Grundsicherung. Statt diese Gruppen gegeneinander auszuspielen, braucht es Antworten auf die strukturellen Fragen:

• Wie schaffen wir Löhne, die vor Armut schützen.
• Wie sorgen wir für bezahlbaren Wohnraum.
• Wie entlasten wir Familien verlässlich.
• Wie begrenzen wir Vermögensungleichheit, die immer weiterwächst.

Dazu braucht es einen armutsfesten Mindestlohn, eine gerechte Steuerpolitik inklusive Wiedererhebung der Vermögenssteuer und eine wirksame Reform der Erbschaftssteuer. Auch der Spitzensteuersatz muss wieder steigen. Ungleichheit abbauen ist kein Luxus, sondern Grundvoraussetzung für eine stabile Demokratie!

* https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Referentenentwuerfe/13-gesetz-zur-aenderung-sbb-ii-und-anderer-gesetze.pdf?__blob=publicationFile&v=1

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