Swantje Schendel

Zukunft. Solidarisch. Gerecht.

Wegen 2000 € Babybegrüßungsgeld entscheidet sich keine Familie für Kinder

24. November 2025

 

So funktioniert moderne Familienpolitik sicher nicht: 2000 € Begrüßungsgeld für Babys mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die AfD hat das aber tatsächlich als Antrag in den Niedersächsischen Landtag eingebracht.

Dabei wird keine Familie aufgrund von ein paar tausend Euro darüber entscheiden, ob sie Kinder bekommt oder nicht. Dass heute weniger Kinder geboren werden, liegt an unseren Strukturen. Noch immer sind Frauen für einen Großteil der Sorgearbeit verantwortlich. Hier muss sich was ändern. Für eine moderne Familienpolitik brauchen wir verlässliche Betreuung, gute Arbeitsbedingungen in Kitas, flexible und faire Arbeitszeiten für beide Eltern, ein Steuersystem, das Gleichstellung fördert statt das Einverdienermodell zu belohnen. Und eine Kultur, in der auch Väter Verantwortung übernehmen.

Vollständiger Text meiner Rede

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen,

der Antrag der AfD macht große Worte, geht aber meilenweit am Kern des Problems vorbei. Wer glaubt, ein paar tausend Euro würden darüber entscheiden, ob Menschen Kinder bekommen, blendet die Realität junger Familien aus.

Der Geburtenrückgang ist kein spontaner Stimmungswechsel. Er hat soziale, wirtschaftliche und kulturelle Ursachen, die weit tiefer reichen. Frauen bekommen nicht weniger Kinder, weil sie kein Begrüßungsgeld erhalten. Sie bekommen weniger Kinder, weil unsere Strukturen noch immer auf ein Familienmodell setzen, das es so längst nicht mehr gibt.

Die entscheidende Frage lautet nicht, wie wir Eltern für ein Kind belohnen. Die entscheidende Frage lautet: Wie schaffen wir Bedingungen, unter denen Menschen Familie leben können, ohne dafür beruflich, finanziell und gesundheitlich den Preis zu zahlen. Genau hier scheitert dieser Antrag.

In Deutschland arbeiten nur gut 6 Prozent der Väter mit kleinen Kindern in Teilzeit, aber über 70 Prozent der Mütter. Das ist kein Zufall. Es ist Ausdruck eines Systems, das von Frauen erwartet, die unbezahlte Sorgearbeit zu tragen. Und das kostet sie Einkommen, Rentenansprüche und Chancen. Mit zwei Kindern verlieren Frauen im Schnitt 64 Prozent ihres Lebenserwerbseinkommens gegenüber Männern. Mit einem Kind fast die Hälfte. Das ist kein individueller „Lebensentwurf“. Das ist strukturelle Benachteiligung.

Und die AfD sagt: Unsere Antwort darauf ist ein Begrüßungsgeld. Aber nur für deutsche Staatsangehörige. Ihr Antrag grenzt Kinder nach Pass ein, statt Familien nach Bedarf zu unterstützen. Er löst kein einziges strukturelles Problem: Er schafft keine Kita-Plätze, verbessert keine Arbeitsbedingungen, ändert nichts an Rollenbildern, die Frauen in Abhängigkeit halten. Er grenzt aus, statt zu helfen.

Die Nobelpreisträgerin Claudia Goldin zeigt klar: Je gerechter die Aufteilung von Kinderbetreuung und Hausarbeit ist, desto höher ist die Geburtenrate. Nicht Herkunft, nicht Staatsangehörigkeit und schon gar nicht Einmalzahlungen entscheiden über Kinderzahlen, sondern Gleichberechtigung.

Doch Väter nehmen weiterhin kaum Elternzeit, die Mehrheit gar nicht. Die unbezahlte Sorgearbeit liegt zu gut 80 Prozent bei den Frauen. Und Sie von der AfD wollen dieses Modell mit Geldscheinen dekorieren, statt es zu verändern.

Eine moderne Familienpolitik sieht anders aus: verlässliche Betreuung, gute Arbeitsbedingungen in Kitas, flexible und faire Arbeitszeiten für beide Eltern, ein Steuersystem, das Gleichstellung fördert statt das Einverdienermodell zu belohnen. Und eine Kultur, in der auch Väter Verantwortung übernehmen.

Denn solange Männer nicht abgeben, müssen Frauen weiter verzichten. Und solange Frauen verzichten müssen, entscheiden sich viele gegen ein zweites oder drittes Kind.

Ich lehne diesen Antrag ab, weil er vom Wesentlichen ablenkt. Wir brauchen kein Begrüßungsgeld. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der Kinder kein Armutsrisiko sind und in der Frauen nicht zwischen Beruf und Familie wählen müssen.

Das ist die Aufgabe.

Quelle: Niedersächsischer Landtag – 29. Tagungsabschnitt (18. – 20.11.2025) – TOP 38

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